Äußerungen des AStA gegen studentische Verbindungen

 
NVwZ 1998, 873

Äußerungen des AStA gegen studentische Verbindungen

GG Art. 5 I 1

HessHochschG § 63 II

Äußerungen eines AStA mit dem Inhalt und Ziel, studentische Verbindungen zu bekämpfen, sind weder vom Aufgabenkreis des AStA, hochschulpolitische Belange der Studierenden wahrzunehmen, noch vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. (Leitsatz der Redaktion)

VGH Kassel, Beschluß v. 06.04.1998 – 8 TG 1084/98

Zum Sachverhalt: Der Ast. – ein Student – versucht zu erreichen, daß der Ag. (Studentenschaft, vertr. durch den AStA) vorläufig jegliche Äußerungen untersagt werden, die sich gegen studentische Verbindungen und Burschenschaften richten. Anlaß für dieses Begehren gaben dem Ast. verschiedene der Ag. zuzurechnende Vorgänge. Die Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses äußerte in einem Interview mit dem 'Marburger Magazin Express' (Nr. 42/97) für die Woche vom 17. bis 23. 10. 1997: 'Ein weiterer Schwerpunkt der politischen AStA–Arbeit ist die Bekämpfung der Burschenschaften, Korporationen und aller anderen studentischen Verbindungen'. Laut Protokoll der 4. Sitzung des StudentInnen–Parlaments vom 19. 11. 1997 hat die AStA–Vorsitzende auf die Frage, was im einzelnen der AStA Marburg zur Bekämpfung der Marburger Korporationen unternommen habe, geantwortet, 'der AStA informiere über Korporationen, z.B. bei der letzten ZVS–Einschreibung im September'. Auf einem Flugblatt des 'Autonomen Schwulenreferats im AStA Marburg' schrieb ein Mitglied der AStA als Resümee: 'Auch wenn wir was in die Schnauze kriegen, sollten wir dieselbe nicht halten. Die Schnauze voll haben wir von Studentenverbindungen ohnehin schon lange'. In einem von dem Ast. in Kopie vorgelegten undatierten 'Antifa Info' des Antifa–Referats (MAUL) im AStA der Uni Marburg wurde zu einer Kampagne gegen Korporationen aufgerufen. Der Ast. wendet sich zudem gegen verschiedene weitere, gegen Korporationen gerichtete Ausführungen der Ag. Der Ast. hat beim VG den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt und geltend gemacht, er fühle sich als Mitglied der Burschenschaft N. in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG verletzt, weil die Ag. sich über den ihr zugewiesenen Aufgabenbereich hinaus betätige, indem sie studentische Verbindungen im Wege der kritischen Auseinandersetzung bekämpfe. Die Erklärungen, Forderungen und Stellungnahmen aus diesem Betätigungsfeld seien zahlreich, so daß auch mit ihrer Wiederholung gerechnet werden müsse und der Ausgang eines Klageverfahrens nicht abgewartet werden könne.Das VG hat den Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde hatte weitgehend Erfolg.

Aus den Gründen: Der Ast. hat glaubhaft gemacht, daß der Erlaß einer einstweiligen Anordnung in dem im Beschlußtenor ausgesprochenen Umfang notwendig ist, um wesentliche Nachteile von ihm abzuwenden ( § 123 I 2, III VwGO, §§ 920 II, 294 I ZPO). Müßte er die Entscheidung in einem Klageverfahren abwarten, hätte er eine Verletzung seines Freiheitsrechts aus Art. 2 I GG für längere Zeit, möglicherweise bis zum Ende seines Studiums, hinzunehmen, was ihm nicht zugemutet werden kann. Es gehört zu seinen Mitgliedschaftsrechten als Zwangsmitglied der Ag., gegen rechtswidriges Verhalten von Organen der Studentenschaft vorgehen und es unterbinden lassen zu können.Aus den von dem Ast. belegten und von der Ag. nicht bestrittenen Äußerungen ergibt sich, daß der AStA nach eigenen Angaben im Wege der 'Öffentlichkeitsarbeit' studentische Verbindungen mit Schmähkritik überzieht, die zum Teil oben wiedergegeben worden ist. Der Senat stützt sich dabei nicht auf von dem Ast. nicht belegte Äußerungen. Er geht auch davon aus, daß längere Zeit zurückliegende Verlautbarungen für sich allein den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht rechtfertigen könnten. Aus zeitnäheren Äußerungen und der Stellungnahme der Ag. ergibt sich jedoch, daß sie diese Art, studentische Verbindungen im Wege der kritischen Öffentlichkeitsarbeit zu bekämpfen, unverändert für richtig hält und meint, insoweit das Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehmen zu können. Dabei verkennt sie, daß die 'Bekämpfung' studentischer Gruppen nicht zu den Aufgaben der Studentenschaft i.S. von § 63 II Nr. 2 HessHochschG gehört. Der Senat hat bereits in dem Beschluß vom 5. 2. 1998 – 8 TM 354/98, der in einem Verfahren zwischen den Bet. ergangen ist, dargelegt, daß nicht erkennbar sei, welche hochschulpolitischen oder sozialen Belange ihrer Mitglieder die Ag. mit einer derartigen Bekämpfung verfolgen könnte, so daß sie insoweit jedenfalls keine hochschulpolitischen Belange der Mitglieder der Studentenschaft ( § 63 II Nr. 2 HessHochschG) wahrnimmt. Es ist auch nicht erkennbar, inwiefern Schmähkritik an studentischen Gruppen der Förderung der politischen Bildung und des staatsbürgerlichen Verantwortungsbewußtseins der Studenten ( § 63 II 2 Nr. 5 HessHochschG) sollte dienen können. Wahrnehmung hochschulpolitischer Belange der Studierenden bedeutet für einen Zwangszusammenschluß wie die verfaßte Studentenschaft, daß ihr Wirkungskreis darauf beschränkt ist, die gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder in bezug auf ihre Eigenschaft als Studierende wahrzunehmen. Ihr obliegt es in diesem Rahmen, sich der spezifischen studentischen Arbeits– und Lebensbedingungen anzunehmen, zu denen insbesondere die Studien– und Arbeitsverhältnisse am Hochschulort gehören (vgl. Leuze, in: Hailbronner, HRG, Stand: August 1997, § 51 Rdnr. 31 m.w. Nachw.). Da sie der Gesamtheit der Studierenden verpflichtet ist, gehört zur Wahrnehmung der studentischen Belange dagegen nicht, die weltanschaulichen oder allgemeinpolitischen Vorstellungen von Gruppen der Studierenden durchzusetzen oder zu bekämpfen. Letzteres gilt jedenfalls, solange einzelne oder Gruppen von Studierenden sich im Rahmen der Rechts– und Verfassungsordnung halten und damit von ihren Freiheitsrechten Gebrauch machen, ohne Belange anderer Studenten oder der Studentenschaft rechtswidrig zu verletzen.Der Ast. hat als Mitglied der Studentenschaft als eines öffentlichen Verbandes einen Anspruch darauf, daß sich der Verband auf die ihm zugewiesenen Aufgaben beschränkt (vgl. BVerwGE 34, 69 = NJW 1970, 292). Dementsprechend kann er verlangen, daß die Ag. die von ihr praktizierte Art der kritischen Auseinandersetzung unterläßt. Der Senat hat bereits in seinem o.g. Beschluß vom 5. 2. 1998 darauf hingewiesen, daß die Ag. auch nicht für hochschultypische Erklärungen außerhalb ihrer Zuständigkeit das Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehmen darf. Die Grundrechtssubjektivität von Körperschaften wird durch ihre Kompetenz begrenzt. Infolgedessen dürfen Gruppierungen oder einzelne Mitglieder des Allgemeinen Studierendenausschusses als Repräsentanten der Studentenschaft weder im allgemeinpolitischen Bereich noch im hochschulpolitischen, soweit er nicht im Rahmen der Zuständigkeiten der Studentenschaft liegt, ihre eigenen politischen Vorstellungen zum Ausdruck bringen und die anderer 'bekämpfen'. Die Repräsentanten der Ag., die für die von dem Ast. beanstandeten Äußerungen gegen 'rechte Aktivitäten' verantwortlich sind, würden auch zu Recht gerichtlich dagegen vorgehen, wenn rechte Gruppierungen als Repräsentanten der Studentenschaft 'linke Aktivitäten' studentischer Gruppierungen in vergleichbarer Weise 'bekämpften'.––––––––––––– 874 –––––––––––––

Da nicht jegliche Kritik durch die Ag. an den studentischen Verbindungen unzulässig ist, kann der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht in vollem Umfang Erfolg haben. Soweit die Ag. sich über Vorgänge im Hochschulrandbereich äußert, wozu auch studentische Gruppierungen gehören, nimmt sie im weitesten Sinne noch Bildungsaufgaben ( § 63 II Nr. 5 HessHochschG) wahr, weil solche Darstellungen der politischen Bildung den Studierenden dienen, auch wenn sie von manchen als 'kritisch' eingeschätzt werden. Soweit sich studentische Gruppierungen nicht im Rahmen der Rechts– und Verfassungsordnung halten und Belange der Studentenschaft oder anderer Studenten verletzen, ist sachliche Kritik ohnehin zulässig. Die Ag. hat dabei jedoch zu beachten, daß Privatpersonen und private Vereinigungen nicht den gleichen öffentlichrechtlichen Verpflichtungen unterliegen wie sie selbst als Körperschaft des öffentlichen Rechts ( § 62 II HessHochschG). Insbesondere ist es Privaten unbenommen, Vereinigungen zu bilden, die nicht jedermann zugänglich, sondern beispielsweise Männern oder Frauen u.a. vorbehalten sind. Art. 3 GG als Norm, die den Staat und andere Träger öffentlicher Gewalt verpflichtet, gilt entgegen der Ansicht der Ag. für Private in dieser Beziehung nicht.Die Gründe, die das VG angeführt hat, um den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abzulehnen, rechtfertigen keine andere Beurteilung.Die am 17. 2. 1997 – 3 G 1799/96 (3) – vom VG erlassene einstweilige Anordnung, durch die der Ag. untersagt wurde, 'politische Erklärungen ... abzugeben, die keinen konkreten studien– und hochschultypischen Inhalt haben', umfaßte entgegen der Ansicht des VG nicht jegliche Erklärungen, Forderungen und Stellungnahmen, die nicht von dem Aufgabenkatalog des § 63 II HessHochschG erfaßt sind. Auch wenn das VG in der Begründung jenes Beschlusses ausgeführt hat, jedes Mitglied der Ag. könne aus dem allgemeinen Freiheitsgrundrecht des Art. 2 I GG einen öffentlichrechtlichen Anspruch darauf herleiten, daß die Ag. den Rahmen der ihr vom Gesetzgeber übertragenen öffentlichen Aufgaben nicht überschreite, hat diese zutreffende Begründung nicht zur Folge, daß eine in ihrem Wortlaut dahinter zurückbleibende einstweilige Anordnung als in diesem weitergehenden Umfang erlassen gilt. Das folgt schon daraus, daß eine einstweilige Anordnung nur ergehen kann, soweit ein Anordnungsgrund geltend gemacht worden ist, d.h. in dem Umfang, in dem ihr Erlaß dringend erforderlich ist.Das VG hat die Entscheidung des Senats vom 5. 2. 1998 außerdem mit der Begründung kritisiert, neben dem Bereich hochschulbezogener politischer Äußerungen, die gem. § 63 II Nr. 2 HessHochschG ausdrücklich zu den Aufgaben der Studentenschaft gehörten, einerseits und dem Bereich allgemeinpolitischer Äußerungen andererseits könne es keinen dritten Bereich hochschulbezogener politischer Äußerungen geben. Dabei übersieht das VG, daß die Studentenschaft nach § 63 HessHochschG nicht für die gesamte Hochschulpolitik zuständig ist, sondern nur für studentische Belange nach Maßgabe des § 63 I 2 und II HessHochschG. Unter anderem fehlt ihr die Zuständigkeit für die 'Bekämpfung' studentischer Verbindungen, um die es in diesem Verfahren geht. Das VG hat nicht in Frage gestellt, daß es sich dabei um keine allgemeinpolitische, sondern um eine hochschultypische Angelegenheit handelt, die also einen Bereich betrifft, der noch im Rahmen der Hochschulpolitik liegt. Sie fällt jedoch nicht in die Zuständigkeit der Studentenschaft.

Anm. d. Schriftltg.: Zum Ordnungsgeld gegen AStA wegen politischer Äußerungen vgl. VG Gießen, NVwZ–RR 1998, 241. Zum allgemeinpolitischen Mandat der Studentenschaft s. auch VGH Kassel, ZUM–RD 1997, 409, und VG Berlin, Beschl. v. 22. 1. 1998 – 2 A 230/97.