Verwaltungsgericht Münster:
rechtsmißbräuchliche Immatrikulation

 
Verwaltungsgericht Münster
1 K 1026/95

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren
gegen

die Studentenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, vertreten durch den Allgemeinen Studentenausschuß der WWU Münster, dieser vertreten durch den Vorsitzenden, Schloßplatz 1, 48149 Münster,

w e g e n Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandats

hat die 1. Kammer

aufgrund der mündlichen Verhandlung

vom 6. Februar 1998

für  R e c h t  erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist als Studierender an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eingeschrieben und Mitglied der beklagten Studentenschaft.  Ausweislich der von der Kammer beigezogenen "Studenten-Stammkarte" studiert der Kläger seit dem Wintersemester 1976 Rechtswissenschaften (zunächst an der Universität Köln, ab Wintersemester 1983/84 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster) und seit dem Wintersemester 1994/95 zusätzlich Physik.

Mit seiner am 20. März 1995 erhobenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandats durch die Beklagte. Zur Begründung verweist er auf seinen Vortrag in dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren 1 L 332/94, 25 B 1507/94, den er in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht vertieft und ergänzt.

Der Kläger beantragt,

der Beklagten für die Dauer seiner Mitgliedschaft zu untersagen, politische Erklärungen, Forderungen und Stellungnahmen abzugeben, die nicht spezifisch und unmittelbar hochschulbezogen sind (dazu gehört auch, daß die Beklagte andere Personen oder Organisationen durch Mitarbeit, Geld oder Sachzuwendungen nicht unterstützen darf, wenn deren Aktivitäten keinen konkreten studien- oder hochschultypischen Inhalt haben), und ihr zugleich für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von 5,- DM bis zu 500.000,- DM, ersatzweise Ordnungshaft, die mindestens 1 Tag und höchstens je Zuwiderhandlung 6 Wochen beträgt oder Ordnungshaft, die mindestens 1 Tag und höchstens 6 Monate je Zuwiderhandlung beträgt, anzudrohen, wobei diese Ordnungshaft jeweils an dem oder der Vorsitzenden der Beklagten zu vollziehen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung macht sie geltend, der vom Kläger gestellte Klageantrag sei nicht hinreichend bestimmt, und legt im übrigen im einzelnen dar, die vom Kläger beanstandeten Äußerungen seien entweder im Rahmen des § 41 Hochschulrahmengesetz i. V. m. § 71 UG zulässig oder könnten ihren Organen nicht zugerechnet werden.

Mit Beschluß vom 6. September 1994 - 25 B 1507/94 - hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung - unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 5 bis 500.000 - DM - vorläufig für die Dauer der Mitgliedschaft des Klägers und bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache untersagt, politische Erklärungen, Forderungen und Stellungnahmen abzugeben, die nicht spezifisch und unmittelbar hochschulbezogen sind. Die Beklage ist zwischenzeitlich mehrfach wegen Zuwiderhandlungen gegen den vorbezeichneten Beschluß zu Ordnungsgeldem verurteilt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist jedenfalls unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu. Die Voraussetzungen eines Abwehrrechts aus Artikel 2 Abs. 1 GG i. V. m. § 71 Abs. 2, 3 UG sind nicht erfüllt. Im übrigen steht dem Begehren des Klägers der Einwand des Rechtsmißbrauchs entgegen.
Der Abwehranspruch gegen staatlichen Organisationszwang, den Artikel 2 Abs. 1 GG gewährt, erstreckt sich zwar auch darauf, daß ein legitimer Zwangsverband, wie die beklagte Studentenschaft es ist, keine Angelegenheiten wahrnehmen darf, die nicht zum gesetzlichen Verbandszweck zählen.

  Vgl. dazu etwa OVG NW, Beschluß vom 6. September
  1994 - 25 B 1507/94 -.

Dieser - hier in Streit stehende - Anspruch findet allerdings dort seine Grenze, wo die Körperschaft im Einzelfall ihren Zwangscharakter verliert und sich die Mitgliedschaft des Betroffenen nicht mehr als Zwangs-, sondern als freiwillige Mitgliedschaft darstellt.  Denn unter dieser Voraussetzung fehlt es an einem hoheitlichen Eingriff in die Freiheitssphäre des einzelnen, der ein Abwehrrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auslösen könnte.  So verhält es sich im Fall des Klägers:

Die Mitgliedschaft in der Studentenschaft, wie sie u.a. das nordrhein-westfälische Hochschulrecht vorsieht, beruht zunächst - wie die uno actu begründete Zugehörigkeit zur Universität - auf dem freien Entschluß eines jeden Studierenden, sich zu immatrikulieren.  Sie kann allein deshalb als Zwangsmitgliedschaft angesehen worden, weil sie mit dem Universitätsstudium notwendig verbunden ist, der Studierende also das von ihm angestrebte Ausbildungs- bzw.  Bildungsziel nur unter Hinnahme einer Mitgliedschaft u.a. in der Studentenschaft erreichen kann.  Erst diese - nicht auflösbare - Verknüpfung zwischen Studium und Mitgliedschaft in der Studentenschaft begründet ihren Zwangscharakter und läßt sie als hoheitlichen Eingriff in die Handlungsfreiheit des Studierenden erscheinen.

  Vgl. dazu etwa BVerwG, Urteil vom 13.  Dezember 1979
  - 7 C 58.78 -.

Hiervon ausgehend verliert die Zugehörigkeit zur Studentenschaft - umgekehrt - ihren Zwangs- und Eingriffscharakter dann, sobald es an einem von dem Studierenden angestrebten Ausbildungs- bzw. Bildungsziel fehlt, er also nicht (mehr) wegen eines Studiums, sondern lediglich aus anderen Gründen immatrikuliert ist - etwa, um allein soziale Vergünstigungen in Anspruch nehmen zu können oder sich ausschließlich und auf Dauer hochschulpolitisch zu betätigen.  Besteht die Mitgliedschaft in der Studentenschaft nämlich nicht mehr um der Inanspruchnahme derjenigen Ausbildungs- bzw.  Bildungsmöglichkeiten willen, die die Universität nach dem Gesetz dem Studierenden bieten soll, so kann der Studierende sich exmatrikulieren, ohne daß damit ein - ggfs. zur Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft nötigender - Nachteil verbunden wäre, der gemessen an dem gesetzlichen Auftrag und Zweck der Universität - Pflege der Wissenschaften durch Forschung, Lehre und Studium, Vorbereitung auf berufliche Tätigkeiten sowie Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (§ 3 Abs. 1 UG) - beachtlich wäre.  Für einen solchen Studierenden, der seine Immatrikulation herbeiführt oder aufrechterhält, ohne daran ein - nach den gesetzlichen Aufgaben der Hochschule beurteilt - berechtigtes und schützenswertes Interesse zu besitzen, besteht kein rechtserheblicher Zwang, weiterhin Mitglied der Studentenschaft.(und der Universität) zu bleiben.  Daß er nach den geltenden Vorschriften (vgl. § 69 UG) nicht ohne weiteres gegen seinen Willen exmatrikuliert werden kann, verleiht der fortbestehenden Mitgliedschaft keinen Pflichtcharakter und ist deshalb in dem vorliegenden Zusammenhang ohne durchgreifende rechtliche Bedeutung.

Nach Maßgabe dieser Erwägungen kann der Kläger den von ihm begehrten Grundrechtsschutz nicht in Anspruch nehmen.  Die Kammer vermag nach den gegebenen Umständen nicht davon auszugehen, daß der Kläger an der WWU Münster noch ernsthaft ein Ausbildungs- bzw.  Bildungsziel verfolgt und zu diesem Zwecke ein Studium - welcher Art auch immer - betreibt.  Der Kläger ist bereits seit bald 22 Jahren als Student eingeschrieben, und zwar seit dem Wintersemester 1976 als Student der Rechtswissenschaften (zunächst an der Universität Köln, ab Wintersemester 1983/84 an der Münster) und seit dem Wintersemester 1994/95 zusätzlich als Student der Physik.  Gemessen an der Vielzahl in der Kammer anhängig gewesener oder noch anhängiger Verfahren und deren Streitgegenständen drängt sich im übrigen der Eindruck auf, daß der Kläger zumindest seit einigen Jahren seine Schaffenskraft hochschulpolitischen bzw. hochschulrechtlichen Auseinandersetzungen und dem von ihm gegründeten "Institut für Hochschulrecht" sowie einer "Forschungsstelle gegen Justizwillkür und Rechtsbeugung in Nordrhein-Westfalen" widmet, als deren "Direktor" bzw.  "Forschungs- und Verwaltungsdirektor" er sich jeweils bezeichnet.  Die vor diesem Hintergrund an den Kläger gerichtete Frage, ob und inwieweit er an der Universität noch ernsthaft ein Ausbildungs- bzw. Bildungszie1 verfolge und ein entsprechendes Studium betreibe, hat der Kläger weder nachvollziehbar noch im übrigen in hinreichender, der ihn treffenden Darlegungslast genügender Weise beantwortet: So wies sich der Kläger noch Ende 1996 als "cand. jur. et stud. rer. nat." aus und brachte damit zum Ausdruck, daß er alsbald das 1. juristische Staatsexamen ablegen wolle und im übrigen ein Fachstudium der Physik betreibe.  Mit Schriftsatz vom 6. November 1997 erklärte der Kläger dann, er studiere (lediglich) Physik, höre auch andere Vorlesungen und esse gerne billig in der Mensa. Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 1997 tat der Kläger dar, er wolle sich (allein) "universell" bilden und zu allen Veranstaltungen der Universität Zutritt haben, ohne die Beschränkungen für Gasthörer hinnehmen zu müssen.  In der mündlichen Verhandlung am 6. Februar 1998 führte der Kläger schließlich aus, er betreibe ein Promotionsstudium und wolle eine Doktorarbeit zum Thema "Semesterticket" fertigen. Derart wechselhafte und in sich widersprüchliche Angaben schließen eine gerichtliche Überzeugungsbildung dahin, der Kläger verfolge noch ein Ausbildungs- bzw.  Bildungsziel an der Universität und nehme die Mitgliedschaft in der beklagten Studentenschaft um eines Studiums willen in Kauf, bereits im Ansatz aus.  Sein Vorbringen läßt allein den Schluß zu, daß er ein Studium gleich welchen Inhalts - tatsächlich nicht betreibt.  In dieses Bild fügt es sich, daß der Kläger - trotz entsprechender gerichtlicher Aufforderungen - keinerlei Angaben zu dem genaueren Stand und weiteren Verlauf seiner angeblichen Studienbemühungen gemacht und es gleichfalls versäumt hat, entsprechenden Vortrag durch die Vorlage von Leistungsnachweisen, Teilnahmebescheinigungen o.ä. glaubhaft zu machen.
Unter Zugrundelegung dieser Feststellungen erscheint das Begehren des Klägers zugleich als rechtsmißbräuchlich.  Nach den dargelegten Umständen muß die Kammer davon ausgehen, daß der Kläger seine Mitgliedschaft in der Universität und der Studentenschaft nur noch deshalb aufrechterhält, um politischen und namentlich rechtlichen Streit mit der Beklagten - wie vorliegend etwa über die Ausübung eines allgemeinpolitischen Mandats zu fuhren.  Ein solcher Zweck ist nach dem Gesetz indessen weder der Mitgliedschaft in der Hochschule noch derjenigen in der Studentenschaft zugedacht.  Der Kläger nimmt seinen formalen Status als eingeschriebener Studierender und die daraus resultierenden Mitgliedschaftsrechte vielmehr ersichtlich zweckwidrig und mithin mißbräuchlich in Anspruch.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwG0.  Die Regelung der vorläufigen

Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwG,0 i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.