Unterlassungsanspruch gegen allgemeinpolitische Aktivitäten der Studentenschaft
 
NVwZ 1999, 211

Unterlassungsanspruch gegen allgemeinpolitische Aktivitäten der Studentenschaft

VwGO § 123

ZPO § 938

BremHochschG § 45

1. Die Studentenschaft der Universität Bremen hat kein allgemeinpolitisches Mandat.

2. Gegen unzulässige (hier allgemeinpolitische) Aktivitäten der Studentenschaft steht jedem immatrikulierten Studenten ein Unterlassungsanspruch zu.

3. Zur Wiederholungsgefahr.

OVG Bremen, Beschluß v. 26. 11. 1997 – 1 B 120/97

Zum Sachverhalt: Der Ast. begehrt den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, mit der der Studentenschaft der Universität Bremen (Ag.) allgemeinpolitische Aktivitäten und Äußerungen wie etwa zu den Castortransporten, der Ausländerpolitik, der Arbeitsmarktpolitik u.ä. einstweilen untersagt wird. Das VG lehnte den Antrag ab. Die vom OVG zugelassene Beschwerde hatte Erfolg.

Aus den Gründen: . . . Das OVG hat in Wahrnehmung der ihm durch § 938 I ZPO eingeräumten Kompetenz die dem Ast. untersagten Handlungen in einer an seinen bisherigen Grenzüberschreitungen orientierten Einzelverbotsliste präzisiert. Die bisherigen Grenzüberschreitungen sind im angefochtenen Beschluß des VG, auf den insoweit verwiesen wird, zutreffend herausgearbeitet worden.Die Einwendungen der Ag. gegen die Bestimmtheit des Antrags richten sich inhaltlich auch gegen die Vollstreckungsfähigkeit des Anordnungstenors. Sie sind unberechtigt. Das generelle Verbot in Nr. 1 des Tenors ist schon für sich hinreichend bestimmt. Es erlaubt für den Regelfall eine deutliche Trennung erlaubter von nicht erlaubten Aktivitäten der Ag. Daß der AstA der Ag. unzulässige Inanspruchnahmen eines allgemein politischen Mandats ziemlich präzise erkennt, beweist die Nr. 1 der Neuausgabe der Bambule–Zeitung mit der dort abgedruckten Liste: "Der AstA darf . . ."/"Der AstA darf nicht . . .". Die Beurteilungssicherheit für die Bet. wird durch die Einzelverbote erhöht, die die Gebiete benennen, auf denen nach den bisherigen Erfahrungen am ehesten mit rechtswidrigen Aktivitäten zu rechnen ist. Die im Grenzbereich auftretenden Fragen müssen im Einzelfall einer Beurteilung im Vollstreckungsverfahren vorbehalten bleiben.Das dringende Regelungsbedürfnis (Anordnungsgrund, § 123 I 2, III VwGO, § 920 II ZPO) hat das VG in Auswertung der vorhandenen Rechtsprechung zutreffend bejaht. Darauf kann verwiesen werden, und dem ist nichts hinzuzufügen.Hinsichtlich des Anordnungsanspruchs ( § 123 III VwGO, § 920 II ZPO) kann dem VG insoweit gefolgt werden, als es unter zutreffender Heranziehung der Rechtsprechung und der einschlägigen Literatur der Ag. die Inanspruchnahme eines "allgemeinpolitischen Mandats" versagt und dem Ast. einen Anspruch auf Beachtung der der Ag. gezogenen Betätigungsgrenzen zuerkennt. In der vom VG zutreffend zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung werden die Betätigungsgrenzen der verfaßten Studentenschaft mit gebotener Klarheit gezogen. Die Ag. ist eine rechtsfähige öffentliche Körperschaft, der die immatrikulierten Studenten als Zwangsmitglieder angehören ( § 45 I BremHochschG), mit anderen Worten ein öffentlichrechtlicher Zwangsverband. Öffentlichrechtliche Zwangsverbände dienen der Erfüllung im Interesse der Gemeinschaft liegender Aufgaben durch Selbstverwaltung der Betr. (vgl. OVG Bremen, MedR 1993, 441). Die Aufgaben von Zwangsverbänden werden gesetzlich bestimmt und begrenzt, eine originäre Befugnis zu eigener Aufgabendefinition haben Zwangsverbände nicht. Sie sind durch Gesetz ausschließlich für die Erfüllung zugewiesener Aufgaben geschaffene Einrichtungen, nur zur Erfüllung zugewiesener Aufgaben erhalten sie öffentliche Mittel. Und nur eine Betätigung auf dem zugewiesenen Aufgabenfeld muß das Pflichtmitglied eines Zwangsverbandes hinnehmen. § 45 II 2 BremHochschG stellt klar, daß die Studentenschaft ausschließlich für die Wahrnehmung der Belange der Studenten in Hochschule und Gesellschaft sowie für die Verwirklichung der Ziele und Aufgaben der Hochschule – dazu § 4 BremHochschG – ein politisches Mandat hat. Ein allgemeinpolitisches Mandat steht ihr nicht zu. Sofern in Einzelbereichen Übergänge zu allgemeinpolitischen Themen vorstellbar sein können, rechtfertigt das nicht die Inanspruchnahme eines allgemeinpolitischen Mandats. Die der Ag. gesetzlich vorgegebenen Betätigungsgrenzen sind nicht erst überschritten, wenn gar kein Bezug mehr zu den Aufgaben der Hochschule und zu den studentenspezifischen Interessen erkennbar ist. Eine Überschreitung ist auch dann gegeben, wenn der objektiv zentrale Aussagegehalt allgemeinpolitische Fragen betrifft.Durch § 45 II 3 Nr. 3 BremHochschG, der der Ag. die Aufgabe zuweist, "im Bewußtsein der Verantwortung vor der Gesellschaft die politische Bildung der Studenten zu fördern", wird der Ag. keine Befugnis verliehen, eigene politische Forderungen zu formulieren oder eigene inhaltliche Politik voranzutreiben. Das Gesetz weist der Ag. hier – nicht anders als in Nr. 4 derselben Vorschrift für die Förderung der kulturellen und sportlichen Interessen der Studenten – eine dienende Rolle zu. Förderung der politischen Bildung der Studenten ist etwas anderes als eigene politische Vorstellungen an die Studenten heranzutragen und dafür zu werben. Die Förderung der politischen Bildung hat von einer neutralen Position aus zu erfolgen. Für die Studenten können unter Vermeidung von Einseitigkeiten beispielsweise Informationsangebote organisiert werden. Politische Werbung oder Agitation läßt die Norm nicht zu, auch die kaschierte Verfolgung einer eigenen Politik läßt die Norm nicht zu; unzulässig wäre es deshalb, einseitig nur bestimmte politische Sichtweisen zu berücksichtigen. Das widerspräche der Anforderung, die politische Bildungsförderung vom ––––––––––––– 212 –––––––––––––eigenen politischen Engagement zu trennen. Erst nach diesen Klarstellungen darf bestätigt werden, daß § 45 III 3 Nr. 3 BremHochschG aus neutraler, dienender Position heraus die Befassung mit allgemeinpolitischer Thematik zuläßt. Man könnte z.B. an Veranstaltungen oder Veranstaltungsreihen denken, in denen unterschiedliche Positionen zu Wort kommen. Ausgeschlossen ist, daß Vertreter der Ag. sich für die Unterstützung bestimmter politischer Bestrebungen auf diese Norm berufen können.Das VG hat alsdann zutreffend eine Reihe eindeutiger Grenzüberschreitungen der Ag. herausgearbeitet und aufgelistet. Darauf wird verwiesen.Mit unvertretbarer Begründung hat das VG die Wiederholungsgefahr verneint. Richtig hat es noch die Wiederholungsgefahr als materielle Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs – sie ist daneben auch ein wesentliches Element des Anordnungsgrundes – erkannt, und richtig hat es auch ausgeführt, die Wiederholungsgefahr müsse "im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung" gegeben sein. Alsdann aber hat die Kammer nicht auf den Zeitpunkt ihrer Beschlußfassung abgestellt, sondern auf einen Zeitpunkt nach Zustellung des Beschlusses, mit anderen Worten auf einen Zeitpunkt, zu dem der Inhalt des Beschlusses bereits Auswirkungen haben sollte. Das ist ein methodischer Fehlgriff. Er führt zu dem mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht zu vereinbarenden Ergebnis, daß der in seinen Rechten verletzte Ast. einen Prozeß mit dem Ziel führen muß, ihn unter Hinnahme der Kostenlast zu verlieren, um sich mit einer gerichtlichen "Belehrung" des Ag. zu begnügen. Als Alternative bleibt ihm allein der Verzicht auf das Verfahren mit der Folge, daß die Ag. – nun ohne gerichtliche Belehrung – ihr rechtswidriges Verhalten fortsetzt. Damit versagt das VG dem Ast. den Rechtsschutz. Wenn eine gerichtliche Entscheidung erforderlich ist, um dem Ast. Recht zu verschaffen, dann hat das Gericht dem Antrag stattzugeben, es darf ihn nicht mit der Begründung abweisen, die Ag. werde sich durch die Begründung der Entscheidung belehren lassen.Die Wiederholungsgefahr ist gegeben. Sie wird bereits durch die in der Vergangenheit von der Ag. begangenen zahlreichen und wiederholten Rechtsverstöße indiziert. Die Vertreter der Ag. haben in der das vom Rektor ausgesprochene Verbot der Zeitung "Bambule" umgehenden Neugründung einer gleichnamigen Bambule–Zeitung schon Ende 1996 öffentlich erklärt, sie würden ein allgemeinpolitisches Mandat immer wieder wahrnehmen, weil sie es für wichtig und richtig hielten. Zwar ist die neue Zeitung schließlich wieder eingestellt worden. Im Oktober 1997 aber hat der Asta der Ag. in einer eigenen Zeitung "30 S" einen Artikel eindeutig allgemeinpolitischen Inhalts und erkennbar allgemeinpolitischer Motivation zur Thematik "RAF" und "Staatsterrorismus" veröffentlicht. Er hat ferner eine Anzeige zum Thema "Neuer Internationalismus" unter Nennung einer Asta–Anschrift abgedruckt. Der "Belehrungsbeschluß" des VG lag zum Zeitpunkt der Herausgabe der Zeitung schon vor.Die Beschwerdeerwiderung ändert am Vorliegen der Wiederholungsgefahr nichts. Sie verweist auf einen zum Zeitpunkt der Herausgabe von "30 S" noch "nicht abgeschlossenen Diskussionsprozeß". Darauf kann es nicht ankommen, die Zeitung hätte nicht herausgegeben werden dürfen, der Vertrieb hätte gestoppt werden müssen. Das alles ist nicht geschehen. In der Beschwerdeerwiderung läßt die Ag. im übrigen zwar vortragen, sie sei bemüht, sich nach den Belehrungen des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses zu richten. Gleichzeitig läßt sie aber vortragen, ihr Asta dürfe sich zu allgemeinpolitischen Themen äußern. Eben dies darf er nicht. Daß inzwischen dem Asta andere Personen angehören, schließt die Wiederholungsgefahr nicht aus. Der neue Asta der Ag. ist mit keinem Wort von dem Anspruch auf ein allgemeinpolitisches Mandat abgerückt. Es gibt keine – geschweige denn eine durch Strafbewehrung verläßlich gemachte – Erklärung der Vertreter der Ag., daß sie in Zukunft auf jede Überschreitung der der Ag. gesetzten Betätigungsgrenzen verzichten wollen. Das setzte zudem eine Neukonzeption für einen erheblichen Teil der Asta–Arbeit voraus, über die nichts vorgetragen worden ist.Die Androhung des Ordnungsgeldes beruht auf § 123 III VwGO, §§ 928, 890 I ZPO, Art. 6 EGStGB. Von der Androhung einer Ersatz–Ordnungshaft sieht der Senat ab und weist den in der Beschwerde in diesem Punkte erweiterten Antrag mangels insoweit für den Ast. gegebenen Rechtsschutzinteresses zurück. Die Ag. kann selbst in keine Ordnungshaft genommen werden. Haftandrohungen gegen Vorstandsmitglieder erscheinen derzeit wegen der motivierenden Wirkung der Ordnungsgeldandrohung verfrüht und auch ohne Blick auf die jeweils konkrete Verantwortlichkeit für mögliche Zuwiderhandlungen noch unangebracht. Die Androhung kann erforderlichenfalls gem. § 890 II ZPO nachgeholt werden.(Mitgeteilt vom Veröffentlichungsreferenten des OVG Bremen)

 

Anm. d. Schriftltg.: Zum politischen Mandat des AStA vgl. auch BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 1998, 1286; VGH Kassel, NVwZ 1998, 873; NVwZ 1999, 212 (in diesem Heft); VG Gießen, NVwZ–RR 1998, 241.