Hessischer Verwaltungsgerichtshof,
Beschluss vom 19. Juli 2004 8 TG 107/04
AStA: Keine Berufung auf Grundrecht der Meinungsfreiheit
Leitsatz
Der ASTA als Organ der in Form einer
öffentlich-rechtlichen
Zwangskörperschaft verfassten Studentenschaft kann sich
gegenüber den
einzelnen Studenten als deren Zwangsmitgliedern nicht auf
das Grundrecht
der Meinungsfreiheit berufen. Er unterliegt deshalb -
unabhängig von der
Frage eines Neutralitätsgebots - auch bei Stellungnahmen
mit Hochschulbezug
nicht erst der Grenze sogenannter Schmähkritik, sondern
in deren Vorfeld
schon einem Mäßigungsgebot, das ihm nicht nur
diffamierende und einseitig
dominierende, sondern auch polemische, überzogene oder
gar ausfällige Kritik
untersagt.
Verfahrensgang
vorgehend VG Kassel 17. Dezember 2003 3 G 2795/03
Gründe
1
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zwar
innerhalb der Zwei-Wochen-Frist
gemäß § 147 Abs. 1 VwGO eingelegt und innerhalb der am
29. Januar 2004
abgelaufenen Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO
mit dem an diesem Tage
per Telefax eingegangenen Schriftsatz der
Verfahrensbevollmächtigten der
Antragsgegnerin gleichen Datums rechtzeitig, aber
inhaltlich nicht
überzeugend begründet worden.
2
Die Beschwerdebegründung muss gemäß § 146 Abs.
4 Satz 3 VwGO einen
bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus
denen die Entscheidung
abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der
angefochtenen Entscheidung
auseinandersetzen. Das Beschwerdegericht ist in seiner
Prüfungskompetenz
gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO in einer ersten Stufe
auf die Prüfung
beschränkt, ob die form- und fristgerecht dargelegten
Beschwerdegründe - in
Anlehnung an die Darlegungsvoraussetzungen des § 124 a
Abs. 4 Satz 4 i.V.m.
§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO - geeignet sind, tragende
Erwägungen des
Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten so
in Frage zu stellen,
dass die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses
erfolgreich in Zweifel
gezogen wird; nur wenn das der Fall ist, ist das
Beschwerdegericht befugt,
die Erfolgsaussichten des einstweiligen
Rechtsschutzantrags über die
fristgemäßen Darlegungen der Beschwerdebegründung
hinaus uneingeschränkt und
umfassend selbst in der Sache zu prüfen (vgl. Hess. VGH,
Beschluss vom 3.
Dezember 2002 - 8 TG 2413/02 - NVwZ-RR 2003 S. 756 =
juris m.w.N.).
3
Diese an eine Beschwerdebegründung gemäß § 146
Abs. 4 Satz 3 VwGO zu
stellenden Anforderungen, die zwar einerseits im Hinblick
auf Art. 19 Abs. 4
GG nicht überspannt werden dürfen (vgl. BVerfG,
Beschluss der 2. Kammer des
Ersten Senats vom 31. März 2004 - 1 BvR 356/04 - juris),
die andererseits
aber auch dem mit der besonderen Verfahrensgestaltung
gesetzgeberisch
verfolgten Vereinfachungs- und Beschleunigungszweck
gerecht werden müssen,
erfüllt das Vorbringen der Antragsgegnerin im
Schriftsatz ihrer
Verfahrensbevollmächtigten vom 29. Januar 2004
inhaltlich nicht. Die dort
erhobenen Einwände sind nicht überzeugend und nicht
geeignet, an der
Richtigkeit des angefochtenen verwaltungsgerichtlichen
Beschlusses
ernstliche Zweifel zu begründen.
4
Die am Ende des ersten Absatzes auf Seite 2 der
Beschwerdebegründung
aufgeworfene Frage eines "Hochschulbezuges" des
hier fraglichen
ASTA-Artikels ist nicht entscheidungserheblich, weil das
Verwaltungsgericht
diesen im Ansatz seiner Begründetheitsprüfung auf Seite
7 der
Entscheidungsgründe grundsätzlich mit der Begründung
bejaht hat, dass die
Studentenschaft mit Äußerungen über Vorgänge im
Hochschulrandbereich, zu dem
auch studentische Verbindungen wie Burschenschaften
gehörten, im weitesten
Sinne Bildungsaufgaben gemäß § 96 Abs. 2 Nr. 5 HHG
wahrnehme und der Bezug
ihrer Tätigkeit zur Hochschule unverkennbar sei.
5
Es hat dort und auf der nächsten Seite eine
Überschreitung der durch diese
Vorschrift verliehenen Befugnis vielmehr unter Berufung
auf die
Rechtsprechung des Senats (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom
6. April 1998 - 8
TG 1084/98 - NVwZ 1998 S. 873 f. = juris) für den Fall
angenommen, dass die
Studentenschaft unter Verletzung des Neutralitätsgebots
eigene politische
Vorstellungen zum Ausdruck bringt und andere in
unsachlicher Art und Weise
bekämpft. Auch jenseits einer ohnehin unzulässigen und
jeglichen sachlichen
Bezug vermissen lassenden Schmähkritik seien kritische
Erklärungen und
Stellungnahmen der Studentenschaften nicht mehr von
dieser Vorschrift
gedeckt, wenn sie sich gegen einzelne studentische
Verbindungen richteten
und dabei in eindeutig tendenziöser, polemischer und
reißerischer Weise über
eine weltanschauliche und politisch neutrale und
sachliche Darstellung
hinausgingen.
6
Diese Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht im
Folgenden bejaht, weil
der vom ASTA in dem StudentInnen-Kalender 2003/2004
veröffentlichte Artikel
"Falsch verbunden" keine dem Neutralitätsgebot
genügende sachliche
Auseinandersetzung mit studentischen Verbindungen
enthalte, sondern vielmehr
eine überwiegend polemisch-plakative Kritik an den
Burschenschaften, die in
ihrer Form tendenziell auf eine Bekämpfung dieser
studentischen Verbindungen
abziele. Der Artikel stelle keine differenzierte,
sachliche
Auseinandersetzung dar, enthalte keine Nachweise und sei
vielmehr auch schon
in seiner Aufmachung für Mitglieder von Burschenschaften
diffamierend. Er
weise gezielt eingesetzte Stilelemente eines auf
plakative Wirkung
ausgerichteten Tendenzartikels auf, sei in einem
polemisch-aggressiven Ton
mit einer Vielzahl grob vereinfachender und die
Burschenschaften
verhöhnender Bewertungen verfasst.
7
Abgesehen von ihrem auf Seite 2 unten/Seite 3 oben
ihrer
Beschwerdebegründung erhobenen und selbst als nicht
entscheidungserheblich
gekennzeichneten Einwand, von einer generellen
Bekämpfung von
Burschenschaften könne keine Rede sein, hat die
Antragsgegnerin gegen die
verwaltungsgerichtliche Begründung anschließend in
Übereinstimmung mit der
von ihr - ohne Fundstelle - zitierten Rechtsprechung des
Verwaltungsgerichts
und Oberverwaltungsgerichts Bremen (vgl. VG Bremen,
Urteile vom 17. Mai 2001
- 6 K 1531/99 - juris und - im Wesentlichen
übereinstimmend - vom 31. Mai
2001 - 6 K 1531/99 - NVwZ-RR 2002 S. 35 ff. = juris; OVG
Bremen, Beschluss
vom 8. Juli 1999 - 1 B 143/99 - NVwZ 2000 S. 342 = juris)
geltend gemacht,
das vom Verwaltungsgericht Kassel herangezogene
Neutralitätsgebot könne nur
bei der Befassung des ASTA mit allgemein-politischen
Fragen, nicht aber bei
der Auseinandersetzung mit hochschulbezogenen Themen
gelten; hier sei auch
überzogene, überspitzte, polemische oder gar
ausfällige Kritik zulässig und
der Meinungsäußerung nur die Grenze der Schmähkritik
gesetzt, bei der nicht
die Sache, sondern die persönliche Diffamierung und
Herabsetzung im
Vordergrund stehe.
8
Mit dieser Auffassung stimmt zwar der Ansatz des
angefochtenen Beschlusses
des Verwaltungsgerichts Kassel nicht überein, wonach
kritische Erklärungen
und Stellungnahmen der Studentenschaft auch jenseits
einer Schmähkritik dann
nicht mehr zulässig seien, "wenn sie sich gegen
einzelne studentische
Verbindungen richten und dabei in eindeutig
tendenziöser, polemischer und
reißerischer Weise über eine weltanschauliche und
politisch neutrale und
sachliche Darstellung hinausgehen".
9
Dieser Einwand der Antragsgegnerin begründet
dennoch letztlich keine
ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser
verwaltungsgerichtlichen
Entscheidung, weil auch der Senat bei der hier allein
gebotenen summarischen
Prüfung der Auffassung ist, dass dem ASTA als Organ der
verfassten
Studentenschaft für eine kritische Auseinandersetzung im
hochschulinternen
Bereich eine Grenze nicht erst bei einer Schmähkritik
gesetzt ist.
10
Der vom Bundesverfassungsgericht zur Begrenzung des
in Art. 5 Abs. 1 GG
garantierten Grundrechts auf freie Meinungsäußerung
entwickelte Begriff der
Schmähkritik ist im Interesse der grundrechtlich
geschützten
Meinungsfreiheit - wie im Einzelnen von der
Antragsgegnerin wiedergegeben -
so eng auszulegen, dass "Schmähkritik bei
Äußerungen in einer die
Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur
ausnahmsweise vorliegen und
im Übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde
beschränkt bleiben wird"
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 1998 - 1 BvR 287/93
- NJW 1999 S. 204
<206>).
11
Der ASTA als Organ der verfassten Studentenschaft
als einer
öffentlich-rechtlichen Körperschaft kann sich aber
gegenüber den einzelnen
StudentInnen als ihren Zwangsmitgliedern nicht auf das
Grundrecht der
Meinungsäußerungsfreiheit berufen und ist deshalb als
Vertretungsorgan aller
StudentInnen und als Hoheitsträger auch bei
Stellungnahmen zu Vorgängen
innerhalb der Studentenschaft an engere Grenzen
gebunden.
12
Wenn man die Zuständigkeit der Studentenschaft
für die Abgabe kritischer
Erklärungen gegen einzelne studentische Verbindungen und
Burschenschaften
generell verneint, folgt dies schon daraus, dass eine
möglicherweise
gegebene Grundrechtssubjektivität von Körperschaften
öffentlichen Rechts
nach Art. 19 Abs. 3 GG jedenfalls durch deren Kompetenz
begrenzt ist (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 1979 - 7 C 58.78 -
BVerwGE 59 S. 231 <239
f.>; Hess. VGH, Beschluss vom 5. Februar 1998 - 8 TM
354/98 - juris).
13
Aber auch dann, wenn man - wie Verwaltungsgericht
und
Oberverwaltungsgericht Bremen (a.a.O.) - den ASTA
grundsätzlich für befugt
hält, eigene Positionen zu studentischen Verbindungen zu
beziehen, kann er
sich dabei gegenüber den einzelnen StudentInnen nicht
wie ein Privater
uneingeschränkt auf die grundrechtlich gewährleistete
Meinungsfreiheit
berufen. Es muss hier nicht entschieden werden, ob sich
die Studentenschaft
als Glied der Hochschule - wie diese selbst und ihre
Fakultäten - in ihrem
"Außenrechtsverhältnis" zum Staat auf die
ihrem Wesen nach dem Schutz des
Einzelnen gegenüber staatlichem Verhalten dienenden
Grundrechte der
Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1
und 3 GG berufen
kann. Denn dies gilt jedenfalls nicht in ihrem
Verhältnis zu den einzelnen
StudentInnen als ihren eigenen, von ihrer hoheitlichen
Aufgabenwahrnehmung
in ihrem Freiheitsgrundrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 GG
unmittelbar betroffenen
Zwangsmitgliedern, weil ansonsten dieses grundrechtliche
Abwehrrecht einem
Hoheitsträger in Form der verfassten Studentenschaft ein
Eingriffsrecht
gewähren würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember
1979 a.a.O.).
14
Deshalb unterliegen die Organe der Studentenschaft
bei der Abgabe
hochschulinterner Meinungsäußerungen - ebenso wie etwa
entsprechende, das
Freiheitsgrundrecht ihrer Mitglieder ebenso
einschränkende berufsständische
Zwangskörperschaften (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 29.
November 1977 - VIII
OVG A 128/75 - juris, zur Ärztekammer; vgl. auch zur
öffentlich-rechtlichen
Krankenkasse: Bay.LSG, Beschluss vom 18. Mai 1988 - L 4 B
118/88 Kr-VR -
juris) - einem Mäßigungsgebot (a.A. VG Bremen, Urteil
vom 31. Mai 2001
a.a.O. unter Hinweis auf die demokratische Legitimation
der gewählten
Studentenschaftsorgane). Dieses untersagt ihnen nicht nur
diffamierende und
einseitig dominierende (so OVG Bremen, Beschluss vom 8.
Juli 1999 a.a.O.),
sondern - in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht
Kassel - auch
polemische, überzogene oder gar ausfällige Kritik und
dessen Einhaltung kann
von den einzelnen StudentInnen als ihren
Zwangsmitgliedern auf Grund ihres
Abwehrrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG auch verlangt
werden.
15
Das Vorbringen der Antragsgegnerin ab Seite 3 unten
ihrer
Beschwerdebegründung zu der Einzelfallsubsumtion des
Verwaltungsgerichts
lässt dessen Einschätzung, der hier streitige
ASTA-Artikel verletze ein
derartiges Mäßigungsgebot, nicht zweifelhaft
erscheinen.
16
Es trifft zwar zu, dass die besonders drastische
Darstellung zu Beginn des
Artikels dort ausdrücklich der Auffassung der
"meisten StudentInnen"
zugeschrieben wird. Andererseits ist aber zum einen dem
Verwaltungsgericht
darin zuzustimmen, dass die dort wiedergegebenen
Bewertungen mangels
jedweder Quellenangabe offensichtlich der eigenen
Einschätzung des
Verfassers/der Verfasserin des Artikels zuzuschreiben
sind. Zum anderen ist
vor allem - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend
abstellt - die
Gesamtheit des Artikels einschließlich der äußeren
Aufmachung mit dem
"Verbotszeichen für Verbindungsstudenten" in
die Beurteilung einzubeziehen.
Der sich anschließende "eigentliche Textteil ...,
in dem der Frage
nachgegangen werden soll, ob diese vielfach verbreiteten
Vorurteile
gegenüber Burschenschaften tatsächlich berechtigt
sind" (vgl. den dritten
Absatz auf Seite 4 der Beschwerdebegründung), ist aber
auch nach der eigenen
Bewertung der Antragsgegnerin "nicht frei von einer
zugespitzten kritischen
Auseinandersetzung" und enthält polemische,
teilweise plakative Aussagen.
Dass Alkohol wissenschaftlich zutreffend als Droge
bezeichnet werden kann,
ändert nichts an dem polemisch-aggressiven
Gesamteindruck des Artikels. Das
gilt auch für den weiteren Einwand der Antragsgegnerin,
dass differenzierte,
mit Nachweisen versehene Ausführungen zu der behaupteten
Beziehung zwischen
Rechtsextremen und Burschenschaften möglich gewesen
wären, denn solche sind
in dem fraglichen Artikel selbst gerade nicht
erfolgt.
17
Abgesehen davon sprechen weiterhin gewichtige
Gesichtspunkte dafür, dass
dieser Artikel sogar die in der Rechtsprechung des OVG
Bremen großzügiger
gezogenen Grenzen für eine zulässige interne
Parteinahme des ASTA
überschreitet. Er enthält nämlich zum einen nach der
Bewertung des
Verwaltungsgerichts Kassel "diffamierende"
Darstellungen und er missachtet
zum anderen die auch insoweit zu wahrende Pluralität und
Chancengleichheit,
weil den in dem StudentInnen-Kalender 2003/2004
angegriffenen Gruppierungen
keine Möglichkeit zur gleichwertigen Gegenäußerung
geboten worden ist, der
ASTA damit also mit den ihm zur Verfügung stehenden
öffentlichen Mitteln die
Meinungsbildung innerhalb der Studentenschaft einseitig
dominiert (vgl. OVG
Bremen, Beschluss vom 8. Juli 1999 a.a.O.).
18
Nach alledem ist die Beschwerde der Antragsgegnerin
mit der Kostenfolge aus
§ 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
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Die Streitwertfestsetzung für das
Beschwerdeverfahren beruht auf § 13 Abs.
1 Satz 1, § 14 Abs. 1 und § 20 Abs. 3 GKG a.F., wobei
entgegen der
Begründung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung
nur von einem
einheitlichen Antragsbegehren ausgegangen, der
Auffangstreitwert wegen der
vom Antragsteller letztlich begehrten Vorwegnahme der
Hauptsache aber nicht
im Hinblick auf den Charakter des vorliegenden
Eilverfahrens halbiert wird.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und
§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG
a.F. unanfechtbar.
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